Samstag, 23. April 2016

Robert Harris "Titan" [Interview]

Hallo Jean! Welches Buch liest du gerade?

 Ich lese gerade Robert Harris "Titan"!  - Beziehungsweise, ich habe es gerade fertig gelesen!


Um was geht´s da?

Um den Fall der römischen Republik. Und zwar nicht aus der Sicht von Cäsar, wie man es normalerweise kennt, sondern aus der Sicht von Cicero, dem größten Redner der Antike!


Ich finde es schön, dass du "Kikero" sagst - und nicht "Tzitzero"!

So viel habe ich aus meinem Lateinunterricht noch behalten! (Lacht) - Ungefähr so viel!


Und was sagt Cicero so über den Fall Roms?

Das Ganze ist in mehrere Teile aufgeteilt. Im ersten Band geht´s um den Aufstieg Ciceros zum Konsul. Im zweiten Teil, den ich hier jetzt gelesen habe, geht´s um das Konsulat von Cicero und das Nachspiel davon. - Also wer sich damit ein bisschen auskennt, weiß: Er hat eine Revolte niedergeschlagen, bei der vielleicht/wahrscheinlich/möglicherweise Pompeus Magnus, Crassus und Julius Cäsar die Drahtzieher waren. Die waren aber nicht die direkten Leute, sondern die, die den Aufstand erst ermöglicht haben. In "Titan" geht es eben darum, wie er in seinem Konsulat mit diesem Aufstand umgeht und die Folgen für ihn persönlich.


Jetzt appelliere ich an deinen Lateinunterricht: Wie nahe schätzt du es an den tatsächlichen Ereignissen ein und wie frei ist es?

Das ist eine gute Frage! Er schreibt selbst im Vorwort, dass er sich bemüht hat es so zu schreiben, dass er recht nahe an den Ereignissen ist und er nicht irgendwelche Sachen aus der Luft rausgreift. Aber es ist schon ein Roman und auch als Roman geschrieben. Kein Geschichtsbuch in dem Sinne. 


Als ich es gesehen habe: Vom Cover und vom Titel her dachte ich zunächst, es sei ein Fantasyroman. So ist es ja aufgemacht und vermutlich soll es auch die entsprechenden Leute ansprechen. Würdest du sagen, es ähnelt von Struktur, Aufbau und Charakter Fantasyromanen, oder eher nicht?

Hm, da muss ich kurz mal drüber nachdenken. Die Struktur ist hauptsächlich die, dass es sich an den Fragmenten der überlieferten Reden Ciceros entlanghangelt. Die werden nie komplett abgedruckt, aber die Hauptpunkte daraus, werden aufgegriffen und zu einem Zeitstrahl verknüpft, an dem sich der Autor dann entlanghangelt.


Also gibt es auch keinen erfundenen Erzähler, sondern wird aus der Ich-Perspektive von Cicero erzählt?

Nein, es ist aus der Sicht seines Sklaven, der die Reden mitgeschrieben hat! Aber der soll tatsächlich existiert haben. Der soll auch nach Ciceros Tod eine Biographie von ihm geschrieben haben, aber die hat den Fall des römischen Reiches leider nicht überlebt. Deswegen weiß man nur noch, dass der existiert haben muss und das er wahrscheinlich auch der Erfinder der Stenographie Kurzschrift ist, mit der er eben die Reden Ciceros aufgezeichnet hat.


Also genau das, was ich nicht konnte, ehe ich angefangen habe, die kleinen Interviews mit dem Handy aufzunehmen!

Genau! (lachen)


Ok, wie würdest du es inhaltlich beurteilen? Hat es dir gefallen?

 Ja, sehr! Die beiden Bücher waren das Beste, was ich in den letzten zwei bis drei Jahren gelesen habe. Ich fand sie sehr gut!


Da du sehr viel liest, ist das ja schon ein Kompliment!

(lacht) Ja, das ist richtig! Ich mag aber auch den Autor. Ich habe von ihm vorher schon "Vaterland" gelesen. Da hat das Dritte Reich den zweiten Weltkrieg gewonnen, da sich Amerika nicht eingeschalten hat. Und in den Sechzigern und Siebzigern Jahren entdeckt ein SS-Offizier - die SS ist da so eine Art Polizei  - Ausschwitz und den Judenmord. Er deckt das Ganze auf und macht es in Amerika bekannt. Das ist auch ein sehr sehr sehr starkes Buch gewesen und der Autor schreibt auch sehr gut. - Auch bei "Titan": Er schreibt eigentlich über das antike Rom, aber die Politik hat sich nicht geändert.


Wie heißt der erste Band?

"Imperium" heißt der erste Band. Der zweite Band ist "Titan" und der dritte Band heißt dann "Diktator".


Würdest du das Buch empfehlen?

Ja, auf alle Fälle! Nicht unbedingt für jeden was, aber schon für fast jeden. (Lacht) - Es ist sehr unterhaltsam geschrieben und liest sich sehr gut. Es ist als Roman geschrieben: Sehr flüssig und von einem Autor, der sehr gut schreiben kann. Die deutsche Übersetzung ist auch sehr gut gelungen.


Von wo ist der Autor?

Ich glaube, das ist ein Amerikaner. (Schaut nach) Nein, anscheinend ist er Engländer.


Um ein bisschen einschätzen zu können, wer das mögen könnte: Mit was für Bücher oder Autoren kann man das so ein bisschen vergleichen?

Schwer zu sagen! Die meisten historischen Romane finde ich immer zu sehr erfunden oder zu trocken. - Tatsächlich ist es am ehesten noch vergleichbar mit der BBC-Serie "Rome", die vor ein paar Jahren lief. Nur wurde das die ganze Story eben aus der Sicht von Julius Cäsar erzählt und ein bisschen später. Die hat ja erst angefangen, als Cäsar aus den gallischen Kriegen wiederkam, während die gallischen Krieger bei Harris zwischen dem zweiten und dem dritten Band stattfinden.


Hat es dann auch so viel Sex und Gewalt?

Ja, aber nicht so aktiv, da Cicero sich ja nicht so diesen Freuden hingegeben hat. (Lachen) Also Gewalt hat es sehr viel, aber Sex weniger, da Cicero es ja eher mit den Stoikern hatte.


Also kein "Game of Thrones"?

Das würde ich nicht sagen. Es ist schon recht vergleichbar. Aber hauptsächlich auch deswegen, weil "Game of Thrones" ja mehr mit unserer echten Welt zu tun hat, als mit einer Fantasywelt.


Wo wir bei "Game of Thrones" sind: Ist es dann auch mit "Titan" vergleichbar im Charakteraufbau? Also der Verzicht auf Gut und Böse zugunste von jeder gegen jeden. Wenn keiner völlig böse, aber auch keiner völlig gut ist?

Ja, doch, schon! Cicero wird schon, im Vergleich zu dem, was seine Gegner über ihn sagen, in einem guten Licht dargestellt. Aber das ist auch der Erzählperspektive geschuldet. Der Erzähler, also der Sklave, der steht auf Cicero! Der mag ihn halt als Person. Dadurch wird dann auch klar, dass er nicht die Dinge über ihn sagt, die seine Gegner sagen. Dadurch wird die Perspektive ein bisschen verzerrt, aber an sich ist es schon so, dass es kein Gut und Böse gibt, sondern alle als Menschen dargestellt sind. - Wobei man sagen muss: Julius Cäsar ist schon ziemlich böse. (Lachen)


Er hat auch die Demokratie zerstört!

Er handelt aber im Buch auch auf eine gewisse Weise nachvollziehbar. Er ist zwar schon der große Bösewicht im Hintergrund, aber das was er tut und warum er es tut, bleibt, von einem gewissen Standpunkt aus, immer nachvollziehbar. Er ist schon sehr radikal, aber keine Karikatur.


Du hast ja schon gesagt, dass du fertig bist! - Stürtzt du dich dann jetzt auf den dritten Band?

Ja, ich schaue mal, dass ich den bei nächster Gelegenheit besorge und dann lese ich den auch noch.


Dann vielen Dank für das Interview!




Donnerstag, 14. April 2016

Gene Luen Yang "American Born Chinese" [Interview]



Hallo Jan! Was liest du gerade?

"American Born Chinese" - eine Graphik Novel von Gene Luen Yang. 


Um was geht´s da?

Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte  in mehreren Handlungssträngen. Es geht übergreifend darum,seine eigene Identität zu finden und auch anzunehmen. Ein Handlungsstrang erzählt von einem Jungen, der über einen Familienteil chinesische Wurzeln hat und immer wieder Besuch von seinem chinesischen Cousin bekommt, den er als wahnsinnig peinlich wahrnimmt. Der zweite Handlungsstrang handelt von zwei chinesischen Jungs, die Aussiedler - das ganze spielt an der Westküste - in den USA sind.  Sie müssen sich in ihrer Umwelt zurechtfinden und begegnen vielen Problemen und müssen lernen zu sich selbst zu stehen. Sie werden mit Rassismus und Ablehnung konfrontiert, die hier besonders bei den Themen des Erwachsenwerdens aufgezeigt werden. So leidet einer der beiden sehr darunter, dass er bei dem Versuch mit amerikanischen Mädchen zu flirten oder auszugehen als Asiate immer nur Ablehnung erfährt. Der dritte Handlungsstrang ist über den "Monkeyking of Flowerfruit Mountain", eine Affengottheit, die sämtliche höheren Diszipline des Kung Fu erlernt hat und sich daher berechtigt fühlt, auf eine Party der anderen Götter zu gehen. Dort erfährt er trotz seiner körperlichen Dominanz offene Ablehnung. Er muss sich nun damit auseinander setzen, dass er ein Affe ist und beginnt zu versuchen immer menschlicher zu werden. 


Wie bist du auf "American Born Chinese" gekommen?

Ich lese gerne Graphik Novels und bin da bei einem Onlinehändler meines Vertrauens drüber gestolpert. Ein Glücksgriff! 


Was hat dich neugierig darauf gemacht?

Bücher zum Thema Identität lese ich gerne. Außerdem ging es um die Rolle der Asiaten in der USA. Sie sind eine Minderheit und werden immer noch häufig als Aussenseiter wahrgenommen. Das hat mich auch sofort interessiert. 


Das ist ja eher eine ungewöhnliche Interesse. Befasst du dich mit Chinesen in der USA?


Ja, ich schreibe gerade meine Abschlussarbeit zu diesem Thema.


Steht eine Graphik Novel in ihrer Komplexität einem Roman nach?

Ne, würde ich verneinen! Es ist lediglich konzentrierter. Konflikte zum Beispiel können sich auf ein einzelnes  Bild konzentrieren. - Das fasziniert mich so an Graphik Novels, dass man in einem Bild ausdrücken kann, was ausformuliert merhere Seiten brauchen würde. Außerdem bleibt mehr Freiraum für eigene Interpretationen, was bei einem ausformulierten Text nicht mehr gegeben wäre. 


Also würdest du eine Leseempfehlung geben?

Uneingeschränkt! 


Wie weit bist du im Moment?

Bei etwa zwei Drittel! 


Dann noch viel Spaß damit und vielen Dank für das Interview!